Kommentar: Als am 16. Juli 2025 die ikonische Hauptbühne des Tomorrowland-Festivals in Belgien in Flammen aufging, stand das weltweit gefeierte Spektakel kurz vor dem Aus. Nur zwei Tage vor der Eröffnung zerstörte ein Brand, ausgelöst durch einen technischen Defekt bei Pyrotechniktests, das Herzstück der Veranstaltung: die monumentale „Orbyz Mainstage“. Das Feuer verwandelte aufwendige Dekorationen, LED-Wände und stählerne Gerüste in ein rauchendes Trümmerfeld. Ein Schockmoment für Fans, Veranstalter und Technikteams – aber auch ein Realitätsschock für eine Szene, die sich zunehmend von der Musik hin zum visuellen Spektakel entwickelt hat.
Trotz des Desasters reagierten die Organisatoren schnell. Noch während die Feuerwehr die letzten Glutnester löschte, liefen bereits die Pläne für eine Notlösung. Innerhalb von 48 Stunden errichteten mehr als 200 Techniker eine improvisierte Bühne. Der neue Aufbau war weit entfernt vom gewohnten opulenten Design, funktional statt fabulös, ein riesiger LED-Screen statt Fantasiewelt. Doch das Festival fand statt. Pünktlich. Und niemand kam zu Schaden. Die Musik spielte. Die Menschen tanzten.
Viele Besucher zeigten sich begeistert, dass Tomorrowland trotz allem stattfand. „Ich war dabei“ – dieser Satz bekam 2025 eine neue Bedeutung. Doch etwas fehlte: Die ikonischen Instagram-Stories vor der kunstvollen Kulisse, die inszenierte Selbstdarstellung vor spektakulärer Bühne. Der visuelle Glanz, der vielen als Beleg für die Einzigartigkeit des Moments dient, war diesmal nicht vorhanden. Stattdessen Postings der abgebrannten Bühne im Hintergrund. Aber war der Brand vielleicht sogar heilsam.
Was bleibt, wenn das Bild fehlt?
Denn was bleibt, wenn der Vorhang der Bühnenshow fällt? Es bleibt die Musik. Und genau hier stellt sich eine grundsätzliche Frage: Braucht ein Musikfestival eine Bühne, die aussieht wie ein Themenpark? Oder ist das nicht nur Staffage für eine Szene, die sich längst von der musikalischen Substanz entfernt hat?
Bei Rock-Konzerten genügt seit Jahrzehnten eine einfache Bühne, ein schwarzer Kasten mit Lichttraversen. Was zählt, ist das, was von der Bühne kommt: Live-Musik, handgemacht, oft unperfekt, aber echt. Im EDM-Kosmos hingegen spielen oft mehrere Künstler hintereinander dieselben Tracks, mit kaum unterscheidbarer Dramaturgie. Der DJ wird zur Silhouette vor visueller Überwältigung. Wer hier Eintritt zahlt, bezahlt nicht für die musikalische Einmaligkeit, sondern für das visuelle Gesamterlebnis. Genau das was eben auch Social-Media ausmacht. Eine künstliche Scheinwelt.
Das heißt nicht, dass elektronische Musik weniger wert ist. Aber es stellt die Frage, ob die Bühne zur Rechtfertigung für ein kommerzialisiertes Veranstaltungskonzept geworden ist, das musikalisch kaum noch Unterscheidbarkeit bietet. DJs, einst subkulturelle Klangkünstler, sind heute Influencer mit Lichtshow. Und ihr Auftritt lebt nicht vom Klang, sondern vom Bild.
Improvisation statt Illusion
Die improvisierte Bühne von Tomorrowland 2025 war ein Notbehelf. Aber sie war auch ein Spiegel: Ohne das Drumherum bleibt nur das Wesentliche. Und das reichte offenbar aus, um Menschen zu begeistern. Vielleicht zeigt gerade dieser Vorfall, dass es nicht immer die große Bühne braucht. Sondern nur gute Musik, ein tanzendes Publikum und den Mut, sich auf das Eigentliche zu besinnen.
Denn Festivals sollten nicht Instagram-Kulissen sein. Sie sollten Orte sein, an denen Klang und Gemeinschaft zählen. Wenn eine abgebrannte Bühne daran erinnert, hat das Feuer vielleicht mehr entfacht als zerstört.